Mittwoch, 27. November 2013

Gedanken


Und weil es noch nicht gerade losgehen kann und der Norden mit seinen Tidengewässern bereits im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, hier eine kleine Geschichte, die am Deich der Oste entstand, nahe dem Wirken der Vorfahren, bevor die Eisenbahn von Hamburg nach Cuxhaven gebaut wurde.




Rio Ooste


Der Norden hat seinen eigenen Raum und seine eigene Zeit. Besonders am Wasser wird dies erfahrbar. Die Gezeiten geben den Rhythmus, und wer sich auf ihn einläßt, dem wird manches aus dem Fluß und der Tiefe von Wasser und Landschaft offenbart.

Langsam, fast träge fließt das Wasser hinab zur Mündung, dort, wo sich Wasser mit Wasser mischt. Flusswasser und Meerwasser. Ich sitze an den Ufern des Rio Ooste und schaue. Ich sitze still und das Wasser bewegt sich. Es bewegt sich von rechts nach links. Das Reet wiegt sich im Wind. Die Kühe am Deich kümmert das nicht. Sie grasen und kauen wieder. Und das Wasser des Rio Ooste fließt. Es fließt von rechts nach links. Ich sitze an seinen Ufern und schaue auf seine grauen Wellen, die in stetem Regelmaß das Licht spiegeln, das die Sonne über das Wasser gleiten läßt. Und das Licht tanzt auf den Wellen, und berührt sie doch nicht. Langsam scheint das Reet aus dem Wasser zu steigen. Die Halme beginnen ihre Wurzeln zu zeigen. Die Wellen ziehen sich von ihnen zurück. Auch vor mir beginnt das Wasser zu weichen, als würde es scheu vor meinem Blick. Zuerst ganz unmerklich, dann wird es immer deutlicher. Träge wälzt sich das Wasser von rechts nach links, und ich schaue auf das sinkende Wasser. Langsam gibt es den Saum des Flußbettes frei. Ränder und Flächen von Schlick werden sichtbar. Rissig. Schwarz. Glänzend. Licht spiegelt sich weiter in verbleibender Nässe, durchfurcht von bemoosten Rinnen. Grün, das sich in Grau verliert. Wolken werfen Schatten. Die Sonne wandert. Ein Bussard schwebt über die Ebene. Sein bedächtiges Gleiten mildert die Schärfe seines Blickes.

Rio Ooste wird schmaler, gibt immer mehr Ufer frei. Immer mehr Grau. Glänzender Schlick.
Matter Spiegel flüchtiger Wolken. Das Reet hat Abstand genommen, wiegt sich weg von den Wellen. Die Kühe kümmert das nicht. Das Gras bleibt unverrückt. Die Schatten der Pappeln werden länger. Weidenblätter flimmern silbrig im Wind. Die leichte Brise kräuselt die Wellen. Die Sonne ist mit dem Wasser weiter gezogen.
Ein Halm dümpelt in der Mitte des Flusses, dreht sich auf der Stelle, zögert und mag nicht weiter ziehen. Der Strom hält inne. Kein Fließen mehr. Zeit und Wasser stehen still. Und ich schaue auf die Stille. Wo Bewegung war, öffnet sich eine Zäsur. Die Kühe kümmert das nicht. Sie kauen das Alte wieder. Und ihre Augen sehen es nicht. Nur der Halm verrät es zögernd: Der Lauf des Flusses hat sich umgekehrt. Rio Ooste fließt von links nach rechts. Und während die Sonne den Himmel zu färben beginnt, zieht der Halm in die Ferne, aus der er kam. Auch Rio Ooste hat die Richtung zu seiner Quelle eingenommen, als hätte er Furcht, sich im Meer zu verlieren, mit seinem Fließen das Meer einladend, sich in seinen Arm zu begeben. Und das Meer folgt seinem Rufe und strömt mit ihm seinem Ursprung entgegen. Das Reet scheint Gefallen zu finden an diesem Tun. Es neigt sich wieder den Wellen zu und kommt ihnen näher. Langsam hüllt die Dämmerung die Ebene in diskretes Dunkel. Und als die Sonne ganz versunken, findet das Wasser zu den Wurzeln am Ufer zurück.

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